Wenn die Uhr keine Zeiger hat…


In Kürze erscheint hier Anna Lassonczyks neues Buch:

 

„Wenn die Uhr keine Zeiger hat…“

7 Unterschiede, wie Menschen aus verschiedenen Kulturen mit Zeit umgehen

 

Wo die Uhr anders tickt…

Hier rennt, da fließt, dort zieht sie sich…

Ist Zeit Ansichtssache?

Eine Zeitreise durch die Kulturen…

Hast Du mal Zeit für mich?

Zeitwert und Zeitgefühl

Zeitkultur und Kulturzeit

Was wir daraus für uns lernen können…

Die Zeichen der Zeit erkennen

 

Anna Lassonczyk Wenn die Uhr keine Zeiger hat mittel

Ausschnitte

 

Zeit als Kommunikation

Zeit ist der Drehpunkt des kulturellen, gesellschaftlichen und persönlichen Lebens. Im Grunde passiert nichts ohne Zeitbezug. Sie organisiert, strukturiert, synchronisiert und integriert alle menschlichen Aktivitäten; sie bringt unsere Prioritäten zum Ausdruck; gibt uns Rückmeldung über den Verlauf der Dinge, ist ein Maßstab für Kompetenzen, Anstrengungen, Leistungen; sie zeigt, was Menschen wirklich voneinander halten und wie gut sie miteinander auskommen…

Zeit kann deswegen als eine Sprache betrachtet werden. Der Umgang mit der Zeit spielt somit für die Kommunikation eine wichtige Rolle. Damit sagen wir etwas darüber aus, wie wichtig uns jemand ist oder uns etwas erscheint. Es ist gesondert deswegen sehr aufschlussreich, weil es sich im Gegensatz zur Sprache fast gar nicht bewusst manipulieren lässt. …

Zwar ist jeder Mensch anders, dennoch besitzen wir mit Mitgliedern der eigenen Kultur mehrere Gemeinsamkeiten und Ähnlichkeiten und aufgrund dessen fühlen wir uns im Umgang mit ihnen weitgehend vertraut. Um kompetent in einer fremden Kultur zu interagieren, ist es notwendig, die spezifische „Sprache der Zeit“ der Kultur zu berücksichtigen. …

 

Drastische Unterschiede im Umgang mit der Zeit sind bei der Einstellung zu Pünktlichkeit zu verzeichnen. Während man in einigen Kulturen (wie generell in Nordeuropa, in der Schweiz, Deutschland, USA) großen Wert auf sie legt und es sogar mehrere Stufen von Verspätung gibt, für die eine entsprechende Begründung als Entschuldigung gilt, gehören Verspätungen in Südeuropa, Lateinamerika und im Nahen Osten zum Alltag. Pünktlichkeit stellt da eher die Ausnahme als die Regel dar.  Als Konsequenz werden dort die für uns beträchtlichen Verspätungen in gewissem Rahmen gelassen hingenommen oder nicht einmal als solche wahrgenommen. Auf keinen Fall wird ihnen eine solche Bedeutung wie in Deutschland zugeschrieben. Der tolerierte Zeitrahmen kann sich je nach Kontext von ein paar Stunden bis zu sogar mehreren Tagen erstrecken. …

Wenn man sich in Thailand zu einer festgelegten Uhrzeit verabrede, so könnte es Minuten, Stunden, oder Tage nach der angegebenen Zeit bedeuten – oder auch überhaupt nicht. Gewiss sei einzig und allein, dass das Treffen nicht vor der vereinbarten Uhrzeit stattfinden wird. …

Vielmehr kann ein pünktliches Erscheinen aufgrund seiner Lästigkeit als unhöflich gelten. Wird man zum Beispiel auf eine bestimmte Zeit zu einer Party in Mexiko eingeladen, dann versteht es sich von sich selbst, dass man später kommen soll. Erscheint man zur angegebenen Zeit – en punto – ist man wahrscheinlich der Gastgeberin im Weg, die noch damit beschäftigt ist, Vorbereitungen zu treffen oder sich umzuziehen. Diese Regeln in Bezug auf die Pünktlichkeit spielen in der mexikanischen Kultur eine große Rolle.

Umgekehrt erweist man in China seinem Gastgeber eine besondere Ehre damit, eine halbe Stunde vor der vereinbarten Zeit einzutreffen. Beim Dialog zwischen den Vertretern unterschiedlicher Kulturen sind diese Zeitkonventionen zu beachten und zu respektieren. Ansonsten würde er misslingen. …

 

In Bezug auf Zeit, Sprache und Kommunikation sind auch Pausen von Belang. Abgesehen davon, dass Sprechtempo sowie die Häufigkeit und Zulässigkeit der Unterbrechungen, Überlappungen bzw. das, was als „ins Wort fallen“ gilt, kulturell voneinander abweichen, wird in einigen Kulturen den Pausen eine besondere Bedeutung beigemessen. Ein markantes Beispiel bieten dafür Japaner. Für sie ist oft nämlich das, was nicht geschieht, wichtiger als das, was geschieht – ein Konzept, das für westliche Besucher sonderbar wirken kann. Wenn man die Bedeutung eines Gesprächs in Japan erfassen will, sollte man aufmerksam verfolgen, was nicht gesagt wird. Die Japaner empfinden besondere Hochachtung für das Konzept des ma – des Zwischenraums zwischen Aktivitäten oder Gegenständen. So werden Menschen aus dem Westen den Raum zwischen z.B. einem Tisch und einem Stuhl wahrscheinlich als leer beschreiben. Japaner dagegen werden den Zwischenraum als „voll von Nichts“ definieren. …

So kann leicht ein Fremder auch ein „ja“ missverstehen. Obwohl das Japanische ein definitives Wort für „nein“ (iie) besitzt, wird es nur selten gebraucht. Die meisten Fragen werden mit „ja“ (hai), egal ob der Antwortende „ja“ oder „nein“ meint, bzw. gar nicht beantwortet, denn es gilt als unhöflich, Anfragen mit einer direkten Ablehnung zu beantworten. Stattdessen ist man aufgefordert, auf das Nicht-Gesagte zu hören. Ein gebräuchlicher Weg, das nicht verbalisierte „Nein“ auszudrücken ist eben eine Pause vor dem „Ja“. Und zwar, je länger die Pause vor dem „hai“ dauert, desto wahrscheinlicher, dass „iie“ gemeint ist. Eine andere übliche Methode ist, keine direkte Antwort zu geben. In beiden Fällen ist es somit die Stille, die die Bedeutung übermittelt. Der zeitliche Abstand hat damit eine gewichtige Aussagekraft, was beim Nichtbeachten schwerwiegende Folgen für die Kommunikation haben kann. …

 

Ein anderer Aspekt in Zusammenhang mit Zeit und Sprache und ferner Kommunikation sind Redewendungen, die mit der Zeit in Verbindung stehen. Die Redensart im Volksmund „Zeit ist Geld“ bringt deutlich die Einstellung der Sprachgemeinschaft zum Wesen der Zeit zum Ausdruck und ist ein überzeugendes Beispiel dafür, dass sich durch Sprache die tief verinnerlichten kulturspezifischen Zeitvorstellungen erkennen lassen. Daneben gibt es noch andere Formulierungen, in denen die Zeit als etwas Räumliches betrachtet wird, wie z.B. „Das habe ich schon hinter mir“ und „Da kommt noch etwas auf mich zu“. …

Wenn wir uns etwa ein Bild von der Zeit machen sollen, sehen wir in Europa die Vergangenheit hinter uns liegend; die Zukunft hingegen kommt von vorn auf uns zu. Doch ein Indianervolk in den Anden denkt genau umgekehrt. Fragt man die Aymaras nach der Vergangenheit, deuten sie nach vorne, in Blickrichtung. Schließlich haben sie die Ereignisse der Vergangenheit schon einmal gesehen. Für das Kommende hingegen sind die Menschen blind, weswegen es die Aymaras hinter ihrem Rücken vermuten. Weil die Zukunft ihnen unsichtbar erscheint, lohnt es nicht, auch einen Gedanken daran zu verschwenden. Wer sie nach dem Morgen fragt, erntet ein Achselzucken. Und auf einen Bus oder einen verspäteten Freund warten sie halbe Tage lang mit einem für uns unglaublichen Gleichmut. …

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Ich wünsche Dir Zeit

Ich wünsche dir nicht alle möglichen Gaben.
Ich wünsche dir nur, was die meisten nicht haben:
Ich wünsche dir Zeit, dich zu freun und zu lachen,
und wenn du sie nützt, kannst du etwas draus machen.

Ich wünsche dir Zeit für dein Tun und dein Denken,
nicht nur für dich selbst, sondern auch zum Verschenken.
Ich wünsche dir Zeit – nicht zum Hasten und Rennen,
sondern die Zeit zum Zufriedenseinkönnen.

Ich wünsche dir Zeit – nicht nur so zum Vertreiben.
Ich wünsche, sie möge dir übrig bleiben
als Zeit für das Staunen und Zeit für Vertraun,
anstatt nach der Zeit auf der Uhr nur zu schaun.

Ich wünsche dir Zeit, nach den Sternen zu greifen,
und Zeit, um zu wachsen, das heißt, um zu reifen.
Ich wünsche dir Zeit, neu zu hoffen, zu lieben.
Es hat keinen Sinn, diese Zeit zu verschieben.

Ich wünsche dir Zeit, zu dir selber zu finden,
jeden Tag, jede Stunde als Glück zu empfinden.
Ich wünsche dir Zeit, auch um Schuld zu vergeben.
Ich wünsche dir: Zeit zu haben zum Leben!

Aus: Elli Michler: Dir zugedacht © Don Bosco Medien GmbH, München, 22. Aufl. 2014