Interkulturelle Kommunikation in Osteuropa: Video vom Kurzvortrag


„Fremde Freunde“ in Ostmitteleuropa: Vor-urteilen oder Nach-machen

 

Interkulturelle Einführung in internationale Meetings und Vorträge weltweit

Mein englischer Kollege hat einmal seinen Vortrag so angefangen: „Wenn ich in den USA eine Rede eröffne, fange ich mit einem Witz an. Wenn ich in Japan bin, sollte ich mich zum Beginn für irgendetwas entschuldigen. Da ich ein Engländer bin, entschuldige ich mich, dass ich keinen Witz gemacht habe.“ Und da ich eine Polin bin, habe ich mir seinen Witz geklaut.

Damit sind wir schon mitten im Thema. Welche Vorurteile gibt es zu Polen? Ich höre oft zum Beispiel: „Kaum in Polen, schon bestohlen“; „Fahr nach Polen, dein Auto ist schon da“; „Was ist ein Pole ohne Arme?  Eine Vertrauensperson“; „Was ist ein Pole mit nur einem Arm? Ein einarmiger Bandit.“…

 

Stereotype über Polen und Osteuropa

Stereotypen prägen unsere Wahrnehmung. Ach, diese weit verbreiteten vorgefertigten Meinungen über andere, die etwas mit Realität zu tun haben können aber nicht müssen. Die Bilder (in unseren Köpfen) über Polen sind da, die Wirklichkeit sieht oft anders aus und kann uns überraschen. Um es zu überprüfen, könnten wir selbst das Land besuchen und mit den Menschen aus der jeweiligen Kultur sprechen, aber auch dann laufen wir der Gefahr, dass wir durch selektive Wahrnehmung, nur die Sachen sehen, die wir sehen wollen. „Unser Gehirn hat zwei Aufgaben: zu überleben und Recht zu behalten. Manchmal das zweite mehr als das erste“ hat mir jemand gesagt. Unser Gehirn sucht also oft nach Bestätigung dessen, wovon wir ausgehen, worauf wir uns bereits eingestellt haben.

Es gibt ein Bild, und je nach Perspektive, kann man etwas anderes sehen. In Seminaren zeige ich manchmal der einen Hälfte vom Raum das Bild so, dass sie das Wort „Liar“ lesen können, der anderen Hälfte zeige ich es so, dass sie ein Gesicht sehen können. Und wenn ich das Bild dann auf der Powerpoint zeige, sagen natürlich die beiden Seiten etwas Unterschiedliches, was sie gesehen haben. Wenn wir schon durch ein paar Sekunden so beeinflusst werden können, dass unsere Wahrnehmung sich ändert, wie stark muss unsere Kultur uns prägen, in der wir schon so viele Jahre leben?

 

Persönliche interkulturelle Erfahrungen einer Osteuropäerin in Deutschland

Haben Sie Freunde, Kollegen, Vorgesetzte oder Mitarbeiter aus Ostmitteleuropa? Haben Sie schon Schwierigkeiten erlebt, die kulturelle Unterschiede betreffen? Ich habe sehr viele von diesen kulturellen Unterschieden erfahren, und von einigen möchte ich hier mit persönlichen Geschichten berichten. Da wir in Deutschland sind, werde ich auch ein paar Zahlen, Daten und Fakten hinzufügen.

Mit 19 bin ich von Polen nach Deutschland umgezogen, ich kam mit dem Bus, hatte einen Koffer dabei, einen Walkman und ein paar Lieblingsschuhe. An der Universität Passau habe ich dann Sprachen, Wirtschafts- und Kulturraumstudien studiert. Am Anfang war ich ziemlich verwirrt, weil ich die Menschen in Niederbayern überhaupt nicht verstanden habe. Ich fragte mich: Haben sie mir in der polnischen Schule eine falsche Sprache beigebracht? Wenn Sie nicht aus Bayern kommen, aber sich schon einmal mit einem gebürtigen Passauer unterhalten haben, können Sie bestimmt sehr gut nachvollziehen, was ich damals gespürt habe. Das verschiedene Länder unterschiedliche Sprachen sprechen ist offensichtlich. Was nicht so leicht erkennbar war und mir lange vorborgen blieb, bis ich mich mit verschiedenen Kulturen tiefgründig befasste, sind Unterschiede im Wertesystem.

 

Ehrlichkeit versus Loyalität: Vertrauen und andere Werte in Osteuropa

Stellen Sie sich folgende Situation vor: Sie sitzen als Beifahrer in einem Auto. Ihr bester Freund sitzt am Steuer und fährt 50, obwohl nur 30 km/h erlaubt sind. Er fährt einen Passanten an. Sie sind als Zeuge ins Gericht eingeladen. Der Anwalt von Ihrem besten Freund kommt und sagt: „Machen Sie sich keine Sorgen, Sie sind der einzige Zeuge! Sie können ruhig sagen, dass Ihr bester Freund mit einer erlaubten Geschwindigkeit, gefahren ist“. Wer möchte in dieser Situation sein? Niemand. Ich habe die Frage so oft vor so vielen Menschen aus unterschiedlichen Ländern gestellt, und niemand möchte gerne in dieser Situation sein. Warum?

Es ist ein Dilemma. In jeder Kultur sind Wahrheit und Freundschaft Werte. Jedoch, welchen Stellenwert die einzelnen Werte haben, ist unterschiedlich. Lassen Sie sich auf ein Experiment ein und beantworten die Frage für sich. Mit welcher Aussage stimmen Sie überein? Sie haben drei Optionen zur Auswahl:

A: Mein bester Freund wird auf jeden Fall davon ausgehen, dass ich vorm Gericht für ihn lüge um ihn vor der Strafe zu schützen.

B: Er würde sich zwar freuen, wenn ich ihm helfe, aber auch akzeptieren, wenn ich die unangenehme Wahrheit sage.

C: Nein, mein Freund hat nicht das Recht zu erwarten, dass ich lüge. Er wird sich das nicht mal durch den Kopf gehen lassen. Es ist für uns beide sofort klar, dass ich ehrlich und der Wahrheit entsprechend antworten, egal welche Konsequenzen es für ihn mit sich bringt.

Es gibt internationale Statistiken, die die verschiedenen Antworten zu dieser Frage in verschiedenen Ländern vergleichen. Was allen Befragten, unabhängig vom kulturellen Hintergrund, gleich ist: Sie befinden sich, zumindest kurz, in einem Zwiespalt, denn sowohl Loyalität und Hilfsbereitschaft als auch Ehrlichkeit und Gerechtigkeit weltweit geschätzt werden. Der Unterschied liegt darin, was uns wichtiger erscheint. Die Ergebnisse werden im Diagramm dargestellt.

Solche Vergleiche und Statistiken könnten auch Stereotype entstehen lassen. Die, die zu einem Großteil der Wahrheit entsprechend aussagen würden, kommentieren die Graphik mit den Ländern und Prozenten mit „Jetzt steht es schwarz auf weiß. Wir wussten es! Wie können wir mit den Russen oder den Koreanern Geschäfte aufbauen, wenn die so korrupt sind und lügen? Wie sollen wir denen vertrauen? Zeige ich die gleichen Ergebnisse der Studie in Osteuropa, rufen die Teilnehmer dann: „Jetzt ist alles klar! Wir haben es eh gespürt! Wie sollten wir den Amerikanern, den Schweizern oder den Deutschen vertrauen? Man kann sich ja gar nicht auf die verlassen: Die würden sogar ihren besten Freund hängen lassen! Es ist ja überhaupt nicht möglich, mit solchen Menschen Geschäfte zu machen.“ Woher kommt die unterschiedliche Herangehensweise an Geschäfte in unterschiedlichen Kulturen?

 

Interkulturelle Kommunikation bei GeschäftsBEZIEHUNGEN in Osteuropa

In Deutschland sind Regeln und Sachlichkeit viel wichtiger als Beziehungen im Businesskontext. Der Begriff GESCHÄFTsBEZIEHUNG bringt das sehr deutlich zum Ausdruck. Es gibt verschiedene Möglichkeiten die Worte in diesem Begriff zu betonen. In Deutschland liegt die Betonung auf Geschäft. In einer GESCHÄFTSbeziehung geht es primär um das Geschäft. Was zählt, sind Zahlen, Daten, Fakten. Wir wollen effizient handeln und rational entscheiden. Privates soll außer vor bleiben. „Dienst ist Dienst, Schnaps ist Schnaps“, „Zuerst die Arbeit, dann das Vergnügen“ sagen schon die bekannten deutschen Sprichwörter. Wenn das Geschäftliche erledigt ist und zum Beispiel der Vertrag unterschrieben ist, können wir im Nachhinein essen gehen, darauf anstoßen, und wenn die Zeit noch reicht UND die Chemie stimmt, uns bei Gelegenheit vielleicht auch ein bisschen persönlicher kennenlernen.

In Osteuropa liegt die Betonung auf Beziehung. Das heißt, bevor man dort ein Geschäft eingeht, baut man dort eine persönliche Beziehung auf. Bevor die Osteuropäer anfangen, miteinander Geschäfte zu machen oder die einen Vertrag unterschreiben, gehen sie meistens zusammen etwas essen oder trinken, um über die Person etwas mehr zu erfahren, z.B. ob es gemeinsame Bekannte gibt. Da die Menschen sich dort nicht so auf die Gerichte verlassen wie wir es in Deutschland gewohnt sind, ist eine Unterschrift bzw. ein Vertrag weniger wichtig.  Das Vertrauen an den involvierten Menschen und der Ruf der Person spielen eine viel größere Rolle. Eine Person würde den Vertrag aufrechterhalten bzw. zum gegeben Wort stehen, um das Gesicht vor gemeinsamen Freunden, im Netzwerk oder in der Branche zu wahren. Deshalb ist dort im Geschäftsalltag so wichtig, insbesondere am Anfang einer GeschäftsBEZIEHUNG, genügend Zeit darin zu „investieren“, um in einer lockeren Runde mit Menschen zu plaudern und zu überprüfen, wer wen kennt, ob man gemeinsame Bekannte hat oder wie der Ruf der Person ist. Persönliche Beziehungen, Soziale Harmonie und Gesichtswahrung sind viel wichtiger als die Unterschrift im Vertrag.

Persönliche Beziehungen schnell aufzubauen habe ich mit der polnischen Muttermilch aufgesaugt. Und als ich bei einem bekannten deutschen Automobilhersteller im CRM gearbeitet habe, bin ich unter anderem in folgendes Fettnäpfchen getreten. Dank meines Studiums und vorherigen Berufserfahrungen in Deutschland wusste ich „Arbeit ist Arbeit, Spaß ist Spaß“ und dass ich mich mit privaten Gesprächen am Arbeitsplatz lieber zurückhalten sollte. Ein paar Wochen lang habe ich ausgehalten, nicht über Persönliches zu sprechen, bis zu einer Betriebsfeier. Ich freute mich auf die Party auf einem wunderschönen Schiff, auf der Spree, mitten in Berlin, und vor allem darauf, dass ich endlich die Kollegen ein bisschen persönlicher kennenlernen darf. Ich wusste: Diese Gelegenheit passiert nicht so schnell wieder!“ Da wir auf einem Partyschiff, also nicht in der Arbeit waren, bin ich davon ausgegangen: Jetzt ist eher die Zeit um privates zu besprechen laut des Mottos „Dienst ist Dienst. Schnaps ist Schnaps“. Also habe ich meine Kollegen ausgefragt:  Was ihnen gefällt, wie sie ihre Freizeit verbringen, wo und mit wem sie leben, ob sie verheiratet sind oder nicht. Je später der Abend wurde, desto mehr merkte ich, dass etwas „irgendwie nicht stimmt.“

 

Interkulturelles Zeitmanagement in Osteuropa

Ein weiterer Unterschied ist eines meiner Lieblingsthemen: der Umgang mit der Zeit. In meiner Diplomarbeit „Kulturspezifische Zeitkonzepte im Kontext interkultureller Kommunikation“ an der Universität Passau habe ich 128 Seiten alleine darüber geschrieben, wie unterschiedlich Kulturen mit der Zeit umgehen. Ich bin von dem Thema so fasziniert, dass ich die Zeit vergesse, wenn ich darüber spreche oder schreibe.

Wenn in Deutschland ein neues Projekt vergeben wird, machen sich die Mitarbeiter sofort an die Arbeit und planen detailliert. Die Leistungskurve steigt schnell an, am Ende wird nur noch der Feinschliff gemacht. In Osteuropa ist das anders. Da denken die Menschen: vielleicht ändert sich noch etwas an dem Projekt, vielleicht ändert sich der Vorgesetzte, vielleicht werde ich gekündigt, wozu sollte ich planen und mich jetzt anstrengen. Es kommt sowieso anders als man denkt. Und dann kommt es irgendwann: Jetzt sollten wir uns aber wirklich beeilen. Am Ende steigt die Leistungskurve schnell und steil an. In Osteuropa passiert viel auf die letzte Minute. Just in time. Die Menschen dort brauchen den Druck. Kommt der Manager zwischendurch um den Projektfortschritt zu überprüfen, steht es im dann im direkten Vergleich für die Osteuropäer eher schlecht.

Anhand von den Ergebnissen zahlreicher empirischer Studien auf dem Gebiet der interkulturellen Kommunikation sowie eigenen Beobachtungen und Erfahrungen habe ich ein eigenes Konzept für die erfolgreiche interkulturelle Kommunikation entwickelt und dabei die wichtigsten kulturellen Unterschiede, die bei Begegnungen von Menschen aus verschiedenen Kulturen relevant sind, in das Wort „INTERKULTURELL“ zusammengefasst, so dass die Unterschiede leicht einprägsam sind:

Individuell – Gruppenorientiert

Neutral – Emotional

Themenorientiert – Beziehungsorientiert

Ehrlichkeit – Höflichkeit

Regeln – Ausnahmen

Kurzzeitorientiert – Langzeitorientiert

Unsicher – Sicher

Langsam – Schnell

Terminiert – Spontan

Umwege – Abkürzungen

Raumdistanz – Nähe

Ehrgeiz – Hilfsbereitschaft

Lust – Pflicht

Leistung – Status

Bei all den kulturellen Unterschieden möchte ich Ihnen auf den Weg in Osteuropa folgendes Zitat mitgeben:

 „Alles was uns an anderen irritiert, kann uns zu besserer Selbsterkenntnis führen“ (Carl Gustav Jung)

Wenn wir mit Menschen aus Osteuropa zu tun haben, können wir viel über uns selbst lernen und uns bewusst machen, was wir wertschätzen, was uns gefällt und was nicht. Wenn wir mit Osteuropäern zu tun haben, wird uns vielleicht bewusst, dass wir sehr dankbar dafür sind, dass wir in Deutschland leben. Zum Beispiel wenn wir Direktheit, Sachlichkeit, kleine Hierarchien oder Sicherheit schätzen. Oder wir stellen fest, dass uns Freundlichkeit, Höflichkeit, Flexibilität und Spontanität viel wichtiger sind. Und wir bekommen Lust zu lernen, zwischen den Zeilen zu lesen und so an die wichtigen Informationen zu kommen.

 

Wie dem auch sei

Viel Erfolg in Osteuropa!

 

Hier finden Sie das Video zum Vortrag