Wer sich denn nun wirklich als Entdecker der Quellen des blauen Nils rühmen darf, wird immer noch kontrovers diskutiert. Auf jeden Fall hatte die Suche danach etwa 5 Jahrtausende gedauert; die Pharaonen hatten es versucht und in der Liste der Suchenden reihen sich auch erfolglos große Namen wie der griechische Gelehrte Herodot (5. Jh. v.Ch.) und der Afrikaforscher David Livingstone (19. Jh.) ein.
ein Artikel von Natalie Gabriel
Wer heute in Äthiopien nach dem Weg fragt, versteht, warum diese Suche so lange gedauert hat.
Ein Grund dafür ist sicherlich die ausgeprägte Hilfsbereitschaft der Äthiopier, denen ein simples „den Weg kenn‘ ich nicht“ als unhöflich gegenüber einem Gast erscheint.
Gerade Deutsche, die ihrem Ruf entsprechend Exaktheit und Zuverlässigkeit auch in ihrer Kommunikation zum Ausdruck bringen, haben mit dieser Einstellung große Probleme.
Andererseits wird ein Äthiopier auf die Frage: „Ist das nicht mehr weit?“ „Ja“ sagen, wenn er das Gefühl hat, das Ziel liegt in der Nähe. Wir Deutschen sind bei so einer negativen Fragestellung weniger eindeutig mit unserer Antwort und würden vielleicht „Nein“ sagen und dasselbe wie der Äthiopier meinen. Es herrscht also nicht immer ein Vorsprung der deutschen Sprache in der logischen Anwendung. Die Tatsache, dass wir unsere zweistelligen Zahlen, von hinten nach vorne aufsagen, ist ein weiteres Beispiel dafür.
Letztendlich geht es doch um die Bereitschaft beider Seiten sich zu verständigen. Das ist allerdings nicht nur zwischen verschiedenen Kulturen eine Herausforderung; sowohl BRD als auch DDR gebrauchten über Jahrzehnte ganz freizügig das Wort „Demokratie“ und haben doch nie über dasselbe geredet.
Die offiziellen historischen Verbindungen zwischen Äthiopien und Deutschland reichen bis in die deutsche Kaiserzeit zurück. Bilaterale Zusammenarbeit in Wirtschaft, Kultur und Entwicklung ist seither angestiegen und die Tatsache, dass diese Beziehungen mit wenigen Unterbrechungen so lange Bestand haben, deutet darauf hin, dass beide Seiten Wege gefunden haben miteinander in verständlicher Weise zu kommunizieren.
Dennoch scheint es für deutsche Touristen, wie auch für Geschäftsleute, angeraten sich vor einem ersten Besuch in Äthiopien vorzubereiten, um kulturelle Fettnäpfchen zu vermeiden.
Im Folgenden werden neun kulturelle Unterschiede, vor allem in der Kommunikation,
aufgezeigt und, wo möglich, Tipps gegeben, wie Missverständnisse zwischen
Deutschen und Äthiopiern weitgehend vermieden werden können:
1. Sehr wichtig ist es bei Verabredungen sicher zu stellen, dass man von der gleichen Zeit spricht. Im täglichen Gebrauch werden in Äthiopien nämlich immer noch die „biblischen“ Uhrzeiten genutzt. Das heißt 12 Stunden Tag und 12 Stunden Nacht. Der Tag fängt folglich um 6 Uhr morgens (europäische Zeit) an; 7 Uhr europäische Zeit ist dann 1 Uhr äthiopische Zeit. Eine Verabredung um 3 Uhr könnte für den Äthiopier folglich auch 9 Uhr morgens oder 9 Uhr / 21 Uhr abends bedeuten. Über die Unterschiede in der Stundenzählung hinaus, jedoch mit weniger gravierenden Folgen, folgt Äthiopien dem Julianischen Kalender mit 13 Monaten, 12 Monate mit 30 Tagen und ein Monat mit 5, bzw. im Schaltjahr 6 Tagen. Dieser alternative Kalender führt auch dazu, dass in Äthiopien erst das Jahr 2009 angebrochen ist.
2. In Äthiopien liebt man es Metaphern zu nutzen. Dadurch wird angestrebt nicht nur die eigentliche Sachlage genau wieder zu geben, sondern dem Zuhörer auch die Stimmungslage zu vermitteln und zu verdeutlichen. Während ihrer Zeit als Studentin in der ehemaligen DDR, sollte meine Mutter behelfsweise für einen Notarzt übersetzen. Eine Äthiopierin, die kein Deutsch sprach, war in der Notaufnahme mit starken Schmerzen eingeliefert worden. Die Patientin beschrieb die Schmerzen mit einer „8-Spänner Kutsche in vollem Galopp, die durch ihren Rumpf rast“. Eine genaue Lokalisierung des Schmerzes gelang der Patientin trotz mehrfachen Nachfragen nicht; die exakte Übersetzung half dem Arzt auch nur wenig bei der Diagnose.
3. Auch bei geschäftlichen Beziehungen gibt es unausgesprochene Regeln. Aus Rücksicht vor der durchgetakteten Terminplanung sind gerade deutsche Geschäftspersonen geneigt „gleich zur Sache zu kommen“. Dies unterscheidet sich stark von der Art und Weise Geschäfte in Äthiopien zu führen. Hier ist es üblich sich auch bei Geschäftlichem erst mal z. B. beim Essen besser kennen zu lernen. Smalltalk über Familie und Gesundheit gehören hierbei zum Ablauf. Erst danach wird über die Arbeit gesprochen.
4. Ein weiterer Kommunikationsunterschied im äthiopischen Alltag sind die intensiven Begrüßungen, vor allem von älteren Personen. Höflichkeit und Respekt sind hier sehr entscheidend. So kommt es schon mal vor, dass beim Begrüßungsritual auch noch das Wohlbefinden von entfernten Verwandten abgefragt wird.
5. Die Willkommenskultur in Äthiopien ist sehr ausgeprägt. Dabei trifft man meist auf sehr offene, freundliche und hilfsbereite Menschen. Der respektvolle Umgang wird hierbei großgeschrieben. Dabei gehört ein indirekter Kommunikationsaustausch zu dem Verhaltenskodex. Ein direktes „Nein“ kann also unhöflich erscheinen und ein Widerspruch wird daher meist nur angedeutet.
6. Bei persönlichen, wie auch geschäftlichen Gesprächen spielt das Wort „ischi“ eine ausschlaggebende Rolle. Direkt übersetzt bedeutet es eigentlich nur „Ja“. Viel wichtiger als die direkte Übersetzung ist jedoch die Intonation des Wortes, die die Bedeutungsbreite von „ich stimme dem, was du sagst völlig zu“ bis „Ja, Ja, erzähl‘ nur weiter, ich glaube dir sowieso nichts“ einnehmen kann. Die richtige Interpretation von „ischi“ braucht viel Zeit und Erfahrung.
7. Äthiopier sind sehr stolz auf ihre einzigartige Kultur, Tradition und Geschichte. Daher freuen sie sich dies Interessierten näher zu bringen. Deswegen ist es immer ein Gewinn sich diesen Themen gegenüber interessiert und offen zu zeigen.
8. Beim Essen kann man mit dem folgenden Know-How gewisse peinliche Situationen vermeiden. Traditionell wird zusammen mit Anwesenden von Hand und von einem Tablet gegessen. Wichtig ist hierbei nur die rechte Hand zum Essen zu benutzen und obwohl man mit Hand isst, die Finger niemals abzulecken. Sobald der Teller leer gegessen ist, ist ein Nachfüllen unvermeidbar. Die Befüllung des Tellers endet erst, wenn man einen Rest übrig lässt. Dadurch zeigt der Gastgeber, dass er die Ration nicht zu knapp geplant
hat. Als Ausdruck besonderer Wertschätzung reicht der Gastgeber dem völlig übersättigten Gast zum Abschluss noch eine „Gourscha“, einen Happen, direkt in den Mund des Gastes. Es ist also wichtig schon zu Beginn des Essens die Gesamtessensmenge vorzuplanen.
9. Die Religionsfreiheit ist den Äthiopiern sehr wichtig. Dabei ist ein toleranter Umgang zwischen Muslimen und Orthodoxen Christen im Land tief verwurzelt. Häufig sind z. B. Moscheen in direkter Nachbarschaft zu Kirchen anzutreffen. Es ist üblich Nachbarn und Freunde unabhängig ihrer Religionszugehörigkeit zu ihren jeweiligen religiösen Festen einzuladen.
Schlussfolgernd lässt sich festhalten, dass interkulturelle Kompetenz sehr wichtig und
sinnvoll ist um schnelle und erfolgreiche Arbeit zwischen deutschen und äthiopischen
Kooperationspartnern zu gewährleisten. Die Kommunikationsbarrieren werden durch
ein besseres, gegenseitiges Kulturverständnis abgeschwächt, sodass nicht nur
Geschäftliches, sondern auch der private Umgang aufblühen kann.
Erfahrungsbericht von Susanne Burgert, Lehramt Studentin und Teilnehmerin des Seminars „Internationalisierung: Berufsbegleitendes Praktikum im Ausland“
geleitet von Anna Lassonczyk an der Universität Köln