#80 Indirekte interkulturelle Email-Kommunikation in Japan


Wie kommuniziere ich mit Japanern geschäftlich per E-Mail?

 

Fehler machen Sinn, wenn Du daraus lernst. In dieser Folge stelle ich dir ein Missverständnis zwischen einem Deutschen und seinem japanischen Geschäftskollegen vor, dank dessen Du in ähnlichen Situationen besser handeln kannst. Du lernst:

+ Was bedeutet es wenn ein japanischer Geschäftspartner in einer geschäftlicher Email persönliche Problemchen wie „Ehekrise“ anspricht?
+ Warum wirkt die typisch deutsche Art, Mitgefühl zu zeigen, auf den Japaner arrogant?
+ Welche kulturellen Werte stecken dahinter?
+ Wie würde eine bessere, interkulturell kompetentere Antwort / Reaktion auf die „Ich hatte Streit mit meiner Ehefrau“ lauten?

Viel Spaß und tolle Erkenntnisse über interkulturelle Kommunikation in Japan!

 

Den interkulturellen Podcast „Deutschland und andere Länder“ gibt es auch unter:

https://itunes.apple.com/us/podcast/id1366874160

https://open.spotify.com/show/1x1qkOIpBPOgW23GdzTCrS?si=6gp_-lqwQd6uVEA4HzGKcQ

 

Das Interview mit Tobias Beck findest du hier.

Folge #71 über Kollektivismus in Japan findest Du hier.

Zusätzlich könnt ihr hier die Folge nachlesen:

 

#80 Die interkulturelle Kommunikation in Japan

Herzlich Willkommen zu der heutigen Folge des interkulturellen Podcasts. Vor genau einem Monat habe ich das Interview mit Tobias Beck für Dich veröffentlicht. In diesem Interview hat er spannende Geschichte, die er weltweit erlebt hatte, erzählt, u.a. als er in Japan in der Küche seiner Gastfamilie nackt aufgetaucht ist, weil er Angst vor einem Erdbeben hatte. Übrigens, wenn du Dir die Folge noch nicht angehört hast, dann kann ich sie dir wärmstens empfehlen. Du wirst nicht nur viel zum Lachen haben, sondern auch einige Erkenntnisse über andere Länder gewinnen. Nach dieser Folge habe ich mich entschieden, in einige Länder und deren kulturelle Hintergründe tiefer einzusteigen. In Folge #71

Konntest du bereits etwas über die indirekte Ausdrucksweise und Gruppenorientierung in Japan erfahren. Heute möchte ich damit fortfahren und Du erfährst ein häufiges Missverständnis in der E-Mail-Kommunikation mit Japanern, dank dessen du nicht nur im Geschäftsleben profitieren kannst, sondern auch für Dich spannende Erkenntnisse gewinnst. Viel Spaß!

 

„Deutschland und andere Länder mit Anna Lassonczyk“ – Der erste und einzige Podcast in Deutschland, Österreich und der Schweiz, der sich mit interkultureller Kommunikation beschäftigt, spannende Impulse über fremde Länder liefert, entfernte Kulturen näherbringt und erfolgreiche Menschen mit internationaler Erfahrung interviewt.

 

Fehler machen dann Sinn, wenn wir daraus lernen. Noch schöner ist es, wenn wir aus Fehlern der anderen lernen können, anstatt der eigenen. Stelle Dir folgende Situation vor:

Ein älterer Japaner sendet eine E-Mail an seinen deutschen Geschäftspartner, den er seit einiger Zeit kennt. Nach den ersten Worten der Begrüßung schreibt er, er habe „Streit mit der Ehefrau gehabt“, und führt dies kurz aus. Anschließend wendet er sich geschäftlichen Fragen zu und beendet die E-Mail mit höflichen Worten.

Wie würdest Du darauf reagieren?

In diesem Fall fühlt sich der Deutsche von dem Vertrauen, das ihm der Japaner entgegenbringt, berührt und zugleich verwirrt. Er dachte, es müsse sich um eine ernste Ehekrise handeln, weil die Japaner sonst eher zurückhaltend sind und diese Erfahrung hatte er auch mit diesem Kollegen gemacht. In seiner Antwort-Mail schreibt er mit ausdrücklichem Bezug auf die „Ehekrise“, diese Worte benutzt er, täte ihm „sehr leid“. Mit einem Rat versucht er, dem Japaner Mitgefühl und eine gewisse Hilfe zu vermitteln.

Was hälst Du von der Reaktion des Deutschen?

Okay, ich möchte Dich nicht länger in Unwissenheit lassen und deshalb komme ich direkt zu der Lösung:

Wie schon an einigen anderen Stellen dieses Podcasts angedeutet: Die zurückhaltende Ausdrucksorientierung bei Japanern verbietet die Kundgabe von intimen oder schwerwiegenden persönlichen Themen, die den anderen belasten würden. Erstens, aufgrund der Gesicht-Wahrung, und zweitens, aufgrund der hohen Gruppenorientierung – „Kollektivismus“ in der Fachsprache. In dieser E-Mail des Japaners steht aus seiner Sicht also nicht die sachliche Information im Vordergrund, wie wir das in Deutschland wörtlich genommen, da wir ja die direkte Kommunikationsweise gewöhnt sind, verstehen würden. Sondern es geht darum, was indirekt zwischen den Zeilen durch eine äußerlich-förmliche Selbsterniedrigung bzw. durch die Erhöhung des anderen vermittelt wird. Dadurch soll dem anderen gegenüber Wertschätzung, Dankbarkeit oder Sympathie vermittelt werden. Und durch den in Japan verbreiteten Kollektivismus bzw. die Gruppenorientierung und das Gemeinschaftsgefühl (mehr dazu in Folge #71) kann sich die Selbsterniedrigung auch auf die eigene Frau oder die eigenen Kinder beziehen, und genauso kann sich die Erhöhung des anderen, zum Beispiel Lob, auch auf Ehe-Partner oder Kinder beziehen.

Der Ausdruck „Streit mit der Ehefrau“ bedeutet also höchstwahrscheinlich gerade nicht eine „Ehekrise“. Denn hätte es sich um eine Ehekrise gehandelt – dies ist ein Paradox in der deutsch-japanischen Kommunikation – dann würde ein Japaner es überhaupt nicht ansprechen. Denn er möchte, wie bereits angesprochen, sein Gesicht wahren und uns nicht mit persönlichen Problemen im geschäftlichen Kontext belasten. Und das ist ein Paradox, weil es in Deutschland genau umgekehrt ist. In Deutschland würde eine unbedeutende, kleine Meinungsverschiedenheit mit der Ehefrau überhaupt nicht angesprochen werden. Im geschäftlichen Kontext wäre es einfach unerheblich, außerdem sagt man in Deutschland: Privates geht die Kollegen nichts an. Aber bei schwerwiegenden Problemen würde man durchaus Anmerkungen machen, zum Beispiel, um Terminprobleme oder die Niedergeschlagenheit zu erklären.

Im Gegensatz dazu würde ein japanischer Geschäftspartner gerade die kleinen Problemchen als Aufhänger nutzen, um die soziale Beziehung zu stärken und Vertrauen zu zeigen. Wenn ein Japaner tatsächlich ernsthafte Probleme hätte, würde er sich im Geschäftskontext überhaupt nichts anmerken lassen.

Zurück aber zu unserer E-Mail:

Der Japaner schreibt, er hätte Streit mit seiner Ehefrau. Damit macht er sich klein und zeigt dadurch Respekt. Der Deutsche versteht durch diesen Satz „Ich bin in einer Ehekriese und ratlos. Helfen Sie mir“, weil der Deutsche sich denkt, wenn es nur eine kleine Sache wäre, würde es der Japaner überhaupt nicht ansprechen. Er antwortet also mit einem Ratschlag und will dadurch sein Mitgefühl zeigen und vermittelt mit seiner E-Mail eher das Gefühl: „Du Ärmster, ich gebe dir ein paar Tipps, denn ich bin erfahrener und weiß, wie man mit so einer Situation umgeht.“

Der japanische Empfänger versteht aus so einer E-Mail, dass sich der Deutsche überheblich zeigt und überlegen fühlt. Er erweist dem Japaner keinen Respekt, sondern behandelt ihn wie ein kleines Kind von oben herab. Ohne es zu wollen und ohne es überhaupt zu wissen, verletzt der Deutsche mit dieser Antwort und einem gutgemeinten Ratschlag die soziale Balance und die wertvolle, vertrauensvolle Beziehung.

Übrigens: genauso wäre es, auf eine Bemerkung „Ihre Kinder sind unglaublich schön, intelligent und fleißig“ mit einem für uns selbstverständlichen „Ja, wir sind auch sehr stolz auf sie“ zu reagieren. Diese Antwort zeigt für die Japaner nicht Selbstbewusstsein, wie in Deutschland, sondern Überheblichkeit. Angemessen wäre eine entsprechende Erhöhung der Kinder des anderen.

Aber zurück zu unserem Fall: Wie können wir auf so eine E-Mail angemessen reagieren?

Versetzen wir uns jetzt nach Japan und gucken uns an, wie ein derartiger Kontakt zwischen zwei Japanern verlaufen würde. Wir wissen schon, dass auf eine Anerkennung des ersten Japaners in der Regel eine Rück-Anerkennung durch den anderen Japaner folgen würde. So könnten wir in unserem Dialog antworten: „Ich habe ebenfalls manchmal Streit mit meiner Frau.“

Das ist in japanischen Augen auf jeden Fall eine positive Beziehungsbotschaft und wir zeigen uns auf der gleichen Augenhöhe. Niemand wird verletzt oder verliert das Gesicht und die soziale Ausgewogenheit ist wiederhergestellt. Der Japaner weiß, dass er uns vertrauen kann, weil wir uns persönlich und menschlich zeigen.

 

Wenn dir diese Folge gefallen hat und du etwas über die japanische Kultur lernen konntest oder etwas für dich mitnehmen konntest, dann freue ich mich über einen Kommentar und eine Bewertung, wo auch immer du das gerade hörst. Du kannst auch deinen Freunden, Familie und Kollegen davon erzählen, jemandem, der viel international unterwegs ist oder vielleicht eine interkulturelle Beziehung führt. Das ist ein Dankeschön dafür, dass ich das kostenlos Dir und allen anderen zur Verfügung stelle. Du hilfst mir damit, diesen Podcast und dieses Wissen zu verbreiten.

Schreibe einen Kommentar