#77 Special: Fußball-WM interkulturell – Glück oder Potenzial? Fehlerkultur international


Wie gehen verschiedene Länder mit Scheitern um? Risiko und Unternehmertum weltweit

Was für viele ein Trauerspiel ist – Deutschland ist aus der WM ausgeschieden – nehme ich zum Anlass, um über Glück zu sprechen und darüber, wie verschiedene Kulturen mit Fehlern und Scheitern umgehen. 2006 hatte ich sogar ein sehr persönliches Erlebnis mit unserer Fußball-Kultur bei dem Spiel Deutschland – Polen. In dieser Folge erfährst Du:

+ Warum ich 1400 km gereist bin, um mir ein besonderes Fußballspiel anzugucken
+ Was ich mit Lukas Podolski gemeinsam habe
+ Inwiefern eine scheinbare Niederlage ein Grund zum Feiern ist
+ Wie du dein persönliches Glücksempfinden mit einem simplen Trick steigern kannst
+ Warum die deutsche „Weltmeister-Einstellung“ viele von der Selbstständigkeit abhält

Viel Spaß und tolle Erkenntnisse beim Anhören!

 

 

Den interkulturellen Podcast „Deutschland und andere Länder“ gibt es auch unter:

https://itunes.apple.com/us/podcast/id1366874160

https://open.spotify.com/show/1x1qkOIpBPOgW23GdzTCrS?si=6gp_-lqwQd6uVEA4HzGKcQ

 

 

Zusätzlich gibt es hier die Folge zum Nachlesen:

„Deutschland und andere Länder mit Anna Lassonczyk“ – Der erste und einzige Podcast in Deutschland, Österreich und der Schweiz, der sich mit interkultureller Kommunikation beschäftigt, spannende Impulse über fremde Länder liefert, entfernte Kulturen näherbringt und erfolgreiche Menschen mit internationaler Erfahrung interviewt.

Herzlich willkommen zu der heutigen Special-Folge zu der interkulturellen Fußball-WM. Dass die deutsche Mannschaft aus der WM ausgeschieden ist nehme ich mir zum Anlass, um darüber zu sprechen, wie die Einstellung zum Thema Scheitern in verschiedenen Kultur ist. Ich spreche auch über meinen Kulturschock, der teilweise auch mit Fußball zusammenhängt. Viel Spaß und viele wertvolle Erkenntnisse beim Anhören!

„Deutschland und andere Länder mit Anna Lassonczyk“ – Der erste und einzige Podcast in Deutschland, Österreich und der Schweiz, der sich mit interkultureller Kommunikation beschäftigt, spannende Impulse über fremde Länder liefert, entfernte Kulturen näher bringt und erfolgreiche Menschen mit internationaler Erfahrung interviewt.

Dies ist die erste Folge, die wir im Juli aufnehmen, in meiner Urlaubszeit sozusagen, also in der ersten Woche nach einem mehrwöchigen Seminar-Marathon, bei dem ich mehrere Trainings nacheinander gegeben habe. An dem Tag, als Deutschland aus der Gruppe ausgeschieden ist, war ich gerade in Polen, habe dort ein Training gegeben und habe auch nicht mitbekommen, was so in den deutschen Medien und auf den Straßen passiert ist. Als unser Weltmeister-Mannschaft verloren hat, kann ich mir vorstellen, dass die Stimmung nicht so prickelnd war. Auch, wenn ich jetzt kein großer Fußballfan bin, weil ich viel lieber Sport selbst mache als es anzugucken, denke ich mir, es macht Sinn darüber zu sprechen, wie verschiedene Kulturen und Menschen weltweit Scheitern unterschiedlich bewerten.

ich kann mir auch vorstellen dass dieses Ereignis mit sehr vielen Emotionen verbunden war, als die Deutschen ausgeschieden sind und auch ich kann mich an eine Situation erinnern, als ich viele Emotionen beim Scheitern eine Fußballmannschaft hatte. Es war nämlich die 2006-Weltmeisterschaft, die in Deutschland stattgefunden hat, und es gab ein berühmtes und für mich sehr emotionales Spiel: als Polen gegen die Deutschen gespielt hatte. Und auch, wenn ich in seit 15 Jahren in Deutschland lebe – also damals noch nicht so lange, damals gerade 3 Jahre – habe ich mich damals auf jeden Fall noch mit Herzen mit der polnischen Mannschaft verbunden. Auch deswegen, weil es einfach unwahrscheinliche war, dass die gewinnen und ich fand es auch schön, mein Land, in dem ich geboren bin, zu unterstützen. Und es wäre für mich sehr komisch, in Deutschland zu jubeln, wenn Polen gewinnt. Also habe ich mich damals noch als Studentin insgesamt 1400 Kilometer auf den Weg gemacht, um dieses Fußballspiel in Polen, in meiner Geburtsstadt Gleiwitz, anzugucken.

Ich musste sogar die Uni schwänzen, auch wenn mein Herz geblutet hat, weil ich hier interkulturelle Kommunikation sehr gerne studiert hatte und ich war tatsächlich im Zwiespalt: Soll ich das machen oder nicht? Aber dann: Ach naja, man lebt nur einmal; so ein Spiel passiert nicht ein zweites Mal und die Vorlesungen kann ich nachlesen. Dann dachte ich mir, ich mache einfach was Verrücktes und buche einer Mitfahrgelegenheit für eine Fahrt nach Polen einfach nur für einen Tag, um dieses Spiel anzugucken.

Ich kam da in Gleiwitz an, schon direkt so angezogen, wie ich das Spiel angucken möchte, nämlich rot-weiß, die Nationalfarben von Polen und meine Freunde haben mich dann gefragt: „Anja, für wen bist du eigentlich?“ Denn ich habe damals schon drei Jahre in Deutschland gelebt, das war die Zeit, in der ich dann für meine polnischen Freunde schon so ein bisschen komisch geworden bin. Die haben begriffen, dass ich nach Deutschland ausgewandert bin und das war nicht nur irgendwie ein Austauschsemester, sondern tatsächlich für immer. Deswegen war schon die Frage, für wen ich bin. Ich meinte: „Klar bin ich für Polen! Guckt mich an, weiß-rot angezogen.“

Und für die, die es nicht wissen: Unsere lieber Lukas Podolski, der damals in der Nationalmannschaft gespielt und auch hier für den FC Köln sich eingesetzt hat, der ist ein Gleiwitzer. Er ist in Gleiwitz geboren, in dem gleichen Krankenhaus wie ich sogar, nur ein paar Monate später, wer weiß, vielleicht auf dem gleichen Bett durch den gleichen Arzt.

Egal, auf jeden Fall ist das natürlich vielen präsent in Polen und gerade in Gleiwitz, dass Lukas Podolski in Gleiwitz geboren ist.

Er war natürlich auf der deutschen Seite und hat auch selbst zugegeben: Naja, die Deutschen zahlen mehr und wenn man einmal für eine Nationalmannschaft gespielt hat, dann darf man nicht mehr wechseln, auch wenn man eine doppelte Staatsbürgerschaft hat. Man muss einfach schon bei der Nationalmannschaft bleiben, für die man schon beim ersten Mal gespielt hat. Aber Wechseln wollte er sowieso wahrscheinlich nicht, obwohl ihm dieses Spiel wirklich schwer gefallen ist.

Also für die, die sich nicht an den Verlauf erinnern können: ich kann mich sehr gut erinnern. Ich sitze mit meinen polnischen Freunden in Gleiwitz, es war die 90. Minute und es steht 0 0. Es gibt 2-3 Minuten Nachspielzeit und in der 90. Minute noch schießt Lukas Podolski, der Gleiwitzer wie ich, ein Tor. Ihr könnt euch vorstellen, dass das gerade wirklich skurril war, weil in dem Moment hat Deutschland geführt. Aber nicht nur das, sondern in der 92. Minute hat Podolski ein zweites Tor geschossen

und das Spiel war zu Ende. Podolski, der Gleiwitzer, schießt zwei Tore und ich, in Gleiwitz sitzend mit meinen Freunden, stelle fest: Deutschland hat gewonnen und ich dachte: Oh je, jetzt wird die Stimmung bestimmt im Keller sein. Ja ich bin eher optimistisch und sehr gut drauf, egal was passiert ,aber es gelingt nicht jedem. Deswegen dachte ich mir: jetzt bin ich hier nach Polen gekommen und naja wird gerade kein schöner Abend mehr sein, dachte ich mir. Aber dann haben mich meine polnischen Freunde wirklich sehr sehr sehr überrascht und zwar haben die eben nicht gesagt: „so ein Pech, scheiß Podolski“ oder was auch immer.

Übrigens: der Podolski die hat sich so am Kopf gehalten und nämlich Augen zu gemacht. Also das war wirklich schwer für ihn, diese zwei Tore zu schießen, als ob er irgendwie das nicht wollte und sich bei seinen ja polnischen Blutsverwandten entschuldigen wollte dafür, dass er das gemacht hat.

Aber zurück zum Thema: also meine Freunde haben dann nicht nur nicht geflucht oder irgendwie gemeckert und naja was man sich so vorstellen kann, was man in so einer Situation fühlen kann. Sondern die haben gesagt: Wow, wir haben 90 Minuten lang mit so einer guten Mannschaft, einer der besten Mannschaften – damals hatte Deutschland noch nicht den Weltmeistertite – l 0:0 ausgehalten. Das ist jetzt ein Grund zum feiern, dass wir 90 Minuten lang uns auf der gleichen Ebene gehalten haben, weil im Vergleich zu dem, was vorher war, denn Polen war nicht immer überhaupt bei der WM dabei, war das schon ein Erfolg und so ist das mit Glücksgefühlen.

Oft ist es so, dass, ob wir glücklich sind oder nicht, davon abhängt, womit wir uns vergleichen. Vergleich ist eher eine Sache, die ich nicht empfehlen, aber, wenn wir in einem Land aufgewachsen sind, wo es immer nach oben ging und plötzlich stagniert etwas dann ja sind die Menschen nicht mehr glücklich, weil die Menschen nach Wachstum, Erfolg und in Entwicklung streben. Das ist so wie mit einer Pflanze: eine Pflanze, die nicht wächst, stirbt. Und in denen Ländern, die vielleicht wirtschaftlich auch noch nicht so gut entwickelt sind aber die Tendenz steigend ist und es nach oben geht, ist es zum Beispiel jetzt besser als noch vor einem Jahr. Da ist dieses Glücksgefühl bei den Menschen viel höher. Genauso ist es auch bei Fußball: Wenn wir vorher den ersten Titel bekommen haben, dann ist natürlich alles was schlechter ist nicht so toll. Eine Mannschaft auch wenn sie zum Beispiel den dritten Platz bekommen hätten, dann wäre sie nie so glücklich, wie die Mannschaft, die auch den dritten

Platz bekommen hat, aber zB. in einem Jahr davor noch nicht mal aus der Gruppenphase rausgekommen ist.

Mit dem Thema glück hängt auch zusammen, wie wir mit Misserfolgen, Fehlern, wie auch immer wir es nennen, umgehen. In Deutschland sind wir oft gewohnt, alles perfekt zu machen. Wir sind in vielen Sachen Weltmeister, sind präzise und sehr genau und diese Qualität wollen wir auch beibehalten. So werden wir erzogen und das saugen wir praktisch mit der Muttermilch auf. Wir haben auch ein großes Sicherheitsbedürfnis, die Versicherungsbranche boomt in Deutschland, und deswegen trauen sich viele nicht, selbstständig zu werden, auch wenn wir insgeheim davon träumen. Aus der Angst davor, zu scheitern. In Deutschland, wenn wir ein Unternehmen gründen und dann scheitern und Insolvenz anmelden würden, dann wäre es für uns sehr schwierig, einen zweiten Anlauf zu nehmen und dann zum Beispiel noch ein Kredit bei einer Bank zu bekommen.

deswegen ist die Unternehmensgründer-Quote in Deutschland so gering im Vergleich zu Polen, wo viel mehr Menschen Unternehmen gründen. In Amerika ist die Selbstständigenquote auch viel höher in Deutschland und dort, wenn man irgendetwas ausprobiert und es nicht klappt und die dann Insolvenz anmelden müsste, dann sagen die freunde nicht irgendwie

„Looser“ sondern sagen: „Er hat es probiert, er hat bestimmt das Beste gegeben, er bekommt auf jeden Fall eine zweite Chance.“ Auch bei einer Bank ist es normal dann einfach einen neuen Kredit zu beantragen und einen zweiten Anlauf zu nehmen, weil man hat auf jeden Fall aus dem ersten Scheitern – obwohl das für die kein Scheitern ist sondern einfach lernen – gelernt.

Die wissen jetzt, was sie besser machen können und die sind auf jeden Fall um diese Erfahrung reicher und umso mehr wissen wir dann unseren Erfolg zu schätzen, wenn wir aus den Fehlern lernen. Im besten Fall natürlich aus den Fehlern von den anderen und nicht unseren Fehlern. Deswegen wird es in den nächsten Folgen Critical Incidents, auf deutsch: kritische Ereignisse, geben; Situationen, in denen andere Menschen beim Umgang mit anderen Kulturen gescheitert sind. Da sind dann Deutsche, die gescheitert sind und anhand von diesen Fehlern kannst Du dann lernen, um das anders als die Personen zu machen.

Ich freue mich, wenn Du nächstes Mal wieder dabei bist, wünschen Dir tolle Erkenntnisse und gute Laune, egal, was jetzt bei Fußball passiert.

Bis zur nächsten Woche, alles Liebe und viel Spaß!

 

 

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