Zwischen den Zeilen lesen und Erwartungen der Japaner verstehen
Was ist bei der interkulturellen Kommunikation mit den Japanern zu beachten? Um Dir diese Frage zu beantworten, habe ich Dir zwei spannende Beispiele aus dem Alltag mitgebracht. In dem ersten geht es um eine Situation zwischen dem japanischen und deutschen Nachbarn, den Unterschied zwischen dem Gesagten und Gemeinten sowie um die Kunst zwischen den Zeilen zu lesen. Das zweite Beispiel dreht sich um ein deutsch-japanisches Ehepaar und das japanische Gemeinschaftsgefühl.
Du erfährst mehr über:
+ die indirekte Kommunikation in Japan, denn dort ist es notwendig, zwischen den Zeilen zu lesen
+ die Wahrung und den Verlust des Gesichts
+ die stark ausgeprägte Gruppenorientierung, die sich in der Kommunikation niederschlägt
Dank der Folge entwickelst Du mehr Verständnis für die Kommunikation mit Japanern und erhältst einen Einblick in die japanische Kultur.
Viel Spaß und tolle Erkenntnisse über Russland und Deutschland beim Anhören!
Den interkulturellen Podcast „Deutschland und andere Länder“ gibt es auch unter:
https://itunes.apple.com/us/podcast/id1366874160
https://open.spotify.com/show/1x1qkOIpBPOgW23GdzTCrS?si=6gp_-lqwQd6uVEA4HzGKcQ
Zusätzlich gibt es hier die Folge zum Nachlesen:
„Deutschland und andere Länder mit Anna Lassonczyk“ – Der erste und einzige Podcast in Deutschland, Österreich und der Schweiz, der sich mit interkultureller Kommunikation beschäftigt, spannende Impulse über fremde Länder liefert, entfernte Kulturen näherbringt und erfolgreiche Menschen mit internationaler Erfahrung interviewt.
Heute will ich Dir die japanische Kultur ein bisschen näherbringen. In der letzten Folge, am Wochenende mit Tobias Beck, hast Du schon einige spannende Geschichten und Fettnäpfchen, die ihm in Japan passiert sind, gehört. Falls Du die Folgen noch nicht gehört hast, dann hör sie Dir unbedingt an. Es sind die Folgen 69 und 70. Und falls Du die Folgen mit seiner Frau, Rita Beck, die Ende Mai erschienen sind, noch nicht gehört hast, das waren die Folgen 61 bis 64. Das Interview ist sogar in 4 Folgen erschienen, 2 osteuropäische Frauen haben sich verquatscht. Falls Du die noch nicht gehört hast, hör sie Dir auch unbedingt an, da erfährst Du, wie Rita am Anfang Deutschland wahrgenommen hat. Falls Du es nicht weißt, die Ehefrau von Tobi kommt aus Lettland. Du erfährst dann auch viele lustige Stories und inspirierende, tiefgründige Gedanken von Rita. Inspiriert und im Anschluss an das Gespräch mit Tobi, möchte ich dann tiefer in die japanische Kultur eintauchen und unter anderem darüber sprechen, wie Japaner kommunizieren und wie du die indirekte Kommunikation verstehst und lernst zwischen den Zeilen zu lesen. Viel Spaß in der heutigen Folge!
Heute möchte ich Dir 2 Situationen schildern, aus denen Du lernst, wie Du Japaner besser verstehst und wie Du indirekt mit ihnen kommunizieren kannst und auch verstehst, was zwischen den Zeilen gesagt wird. Das heißt, dass Du auch verstehst, was zwar nicht gesagt, aber gemeint ist.
Stelle Dir folgende Situation vor: Ein Japaner und ein Deutscher sind Nachbarn in einem Haus. Der Deutsche übt häufig Klavier. Dadurch fühlt sich der Japaner zuweilen gestört. Als ihm sein deutscher Nachbar im Treppenhaus begegnet, begrüßt ihn der Japaner und äußert dabei: „Sie üben fleißig!“ Daraufhin entgegnet der Deutsche: „Ja, ich nehme jetzt sogar Klavierstunden bei meinem Musiklehrer.“ Was meinst Du, ist hier passiert? Es liegt höchstwahrscheinlich ein großes Missverständnis vor.
Mit dem Kommentar „Sie üben fleißig“ will der Japaner den Deutschen darauf hinweisen, dass er hört, wenn der Deutsche spielt. Er bringt damit zum Ausdruck: „Ihr Klavierspiel stört mich“. Mit diesem Satz will er den Deutschen dazu veranlassen, dass dieser seltener, leiser oder zu anderen Uhrzeiten spielt. Was versteht der Deutsche, wenn er hört: „Sie üben fleißig!“? Er meint, wenn der Japaner das anspricht, heißt das, dass ihm sein Klavierspiel gefällt und dass der Japaner möchte, dass der Deutsche öfter spielt. In Japan kommunizieren die Menschen viel indirekter. Darüber habe ich auch schon in den Folgen über Polen gesprochen, die Ende April/Anfang Mai erschienen sind. Sie heißen „direkt und indirekt kommunizieren“, es sind die Folgen 30 bis 34. Da kannst Du viel mehr über die indirekte Ausdrucksweise erfahren. Aber in Kürze: Der Grund, dass die Japaner indirekt kommunizieren ist, dass Japan eine Schamkultur ist, in der das Schlimmste, was einem passieren könnte, der Gesichtsverlust ist. Es wird teilweise als schlimmer empfunden, als der Tod. Deswegen ist die Selbstmordrate in Japan so hoch. Teilweise, wenn die Gefahr besteht, dass jemand sein Gesicht verlieren würde, bringt sich die Person eher um, als das Gesicht zu verlieren. Das Gesicht zu wahren, ist das oberste Gut. Sowohl das eigene Gesicht, als auch das Gesicht des Gegenübers.
Deswegen will der Japaner dem Deutschen nicht so direkt ins Gesicht sagen, dass ihn das Klavierspiel stört. In Deutschland trennen wir die Sache von der Person. Anders ausgedrückt: wir trennen das Verhalten von der Würde des Menschen. Und wir können uns sachlich über ein Verhalten einer Person unterhalten, sogar darüber diskutieren und trotzdem heißt das nicht, dass wir die Person nicht mögen oder nicht wertschätzen oder die Würde der Person in Frage stellen. In Japan sind das Verhalten und die Person eins. Das heißt, wenn wir ein Verhalten an einer Person kritisieren, ist das so, als ob wir die Würde der Person verletzen würden. Deswegen wollen wir sehr vorsichtig sein, wenn wir um etwas Bitten, etwas kritisieren, eine gegensätzliche Meinung äußern, etwas absagen müssen, oder einen Wunsch äußern.
Die Ohren des Japaners sind einfach fein getuned und hören in einem Satz wie „Sie üben fleißig.“ kein Kompliment, sondern den Wunsch, dass die Person leiser, zu einer anderen Uhrzeit oder seltener spielt.
Darüber hinaus ist Japan ein kollektivistisches Land, anders ausgedrückt ein gruppenorientiertes Land. Deutschland ist dagegen ein individualistisches Land. Was heißt das? In individualistischen Ländern sind die Bedürfnisse eines Individuums höher gestellt, als die einer Gruppe, Gemeinschaft, Gemeinde. Der Mensch versteht sich auch als ein Individuum und schützt seine Privatsphäre und Autonomie. Er wird dazu erzogen eine eigenständige Meinung zu haben und den anderen gegenüber selbstbewusst aufzutreten.
In den kollektivistischen, also gruppenorientierten Kulturen, versteht sich ein Mensch eher als Teil der Gruppe, Gemeinde, Gemeinschaft. Viel wichtiger als Autonomie ist es hier das Zusammengehörigkeitsgefühl. Das heißt der Mensch will sich der Gruppe zugehörig fühlen. Er will nicht anders sein oder sich aus der Gruppe herausheben. Auch wenn er eine andere Meinung hat, würde er sich damit eher zurückhalten. Dann wäre die Gefahr, dass er sich der Gruppe nicht mehr zugehörig fühlt, zu groß. Wie sich das im Alltag auf die Kommunikation auswirkt, möchte ich Dir anhand einer zweiten Situation schildern.
Stell Dir vor: Seit drei Jahren bist Du mit einer Japanerin verheiratet und wohnst in einer Stadt in Deutschland. Deine Frau ist gerade mit einer schwierigen und für sie wichtigen Arbeit beschäftigt. Zwei befreundete Deutsche besuchen sie, um ihr dabei zu helfen. Währenddessen kommst Du aus dem Büro nach Hause, begrüßt alle herzlich und ziehst Dich bald danach zurück, weil Du nichts beitragen kannst und nicht weiter stören willst. Als später die beiden Gäste aufbrechen, kommst Du wieder hinzu und verabschiedest Dich kurz und freundlich. Auch Deine japanische Ehefrau verabschiedet sich von den beiden Freundinnen, verbunden mit einem ausführlichen Dank für die erwiesene Unterstützung.
Im Anschluss daran kann Deine Ehefrau nur schwerlich ihre Verstimmung verbergen. Ihr geratet in einen kleinen Streit. Irgendwie scheint es um Dein Verhalten gegenüber den Gästen, ihren Freundinnen, zu gehen. Was meinst Du ist passiert? Die Ursache des Konflikts liegt in den kollektivistischen und individualistischen Kulturen. Aus Sicht der japanischen Ehefrau haben nämlich die zwei Freundinnen nicht nur ihr als Individuum einen Dienst erwiesen, wofür sie sich angemessen bedankt. Das Gemeinschaftsgefühl der Japanerin umfasst in der Situation auch Dich als Ehemann. Es ist also als wäre auch Dir die Hilfe zu Gute gekommen. Aus diesem Grund erwartet Deine japanische Ehefrau, dass auch Du als Ehemann explizit Deinen Dank bekundest z.B durch die Worte: „Ich danke Euch für die Unterstützung meiner Ehefrau.“ Das nicht zu tun, bedeutet Euer eheliches Gemeinschafts- Ich zu missachten und gleichzeitig gegenüber den hilfsbereiten Freundinnen Deiner Frau unhöflich zu sein und sie zu beleidigen. Die zwei deutschen Freundinnen würden sich natürlich nicht beleidigt fühlen, wenn Du dich nicht bedankst. Sogar im Gegenteil: Wenn Du dich als deutscher Ehemann bedanken würdest, wären sie irritiert. Es mag ja sein, dass Du das als Ehemann schön findet, dass wir Deiner Frau helfen. Aber so ein in deren Augen übertriebener Dank würde so wirken wie das Verhalten eines Vaters mit Blick auf seine kleine unselbstständige Tochter, während die japanischen Freundinnen sich verletzt fühlen würden und sich sehr darüber wundern, dass Du dich als Ehemann nicht für die Hilfe bedankst. Die japanische Ehefrau nimmt das ebenso wahr und geht davon aus, dass es ein Fauxpas war, dass Du dich bei ihren Freundinnen nicht für die Hilfe bedankt hast.
Das waren die eben versprochenen zwei Situationen. Du kannst Dich in Zukunft schon über weitere Folgen über Japan und die Kommunikation in verschiedenen Ländern freuen.
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