Wie unterschiedlich Kulturen mit der Zeit umgehen
In der heutigen Folge geht es darum, wie stark sich Zeit und Kultur gegenseitig beeinflussen. Dazu werden folgende interessante Fragen geklärt:
+ Was ist Zeit?
+ Was ist meine Lieblingsdefinition von Kultur?
+ Inwiefern hängen Zeit und Kultur zusammen?
+ welche unterschiedlichen Zeitauffassungen liegen dem zugrunde, dass in westlichen Kulturen so viel Hektik herrscht, während in anderen Kulturen Menschen viel mehr Lockerheit und Gemütlichkeit an den Tag legen?
Viel Spaß und wertvolle Erkenntnisse beim Anhören
Den interkulturellen Podcast „Deutschland und andere Länder“ gibt es auch unter:
https://itunes.apple.com/us/podcast/id1366874160
https://open.spotify.com/show/1x1qkOIpBPOgW23GdzTCrS?si=6gp_-lqwQd6uVEA4HzGKcQ
Zusätzlich gibt es hier die Folge zum Nachlesen:
„Deutschland und andere Länder mit Anna Lassonczyk“ – Der erste und einzige Podcast in Deutschland, Österreich und der Schweiz, der sich mit interkultureller Kommunikation beschäftigt, spannende Impulse über fremde Länder liefert, entfernte Kulturen näherbringt und erfolgreiche Menschen mit internationaler Erfahrung interviewt.
Heute erfährst Du, wie sich Zeit und Kultur gegenseitig beeinflussen und warum beides so ein hochaktuelles Thema sind.
Ist es nicht ein Paradox? In unserer Kultur heutzutage haben wir so viele zeitsparende technische Hilfsmittel gehabt wie nie zuvor. Zum Beispiel gibt es Spülmaschinen, Handys, Computer und Züge, die unheimlich schnell sind. Der ICE von Köln nach Frankfurt beispielsweise kommt auf eine Geschwindigkeit von 310 km/h. Wir haben so viele technische Geräte, wie es zu keinem anderen Zeitpunkt in der Menschheitsgeschichte auf der Welt gab. Doch vom Gefühl her haben wir noch nie so wenig Zeit gehabt wie gerade jetzt.
Der moderne Mensch ist im Alltag der Natur nicht mehr so im großen Ausmaß unterworfen, wie es früher der Fall war. Weitgehend losgelöst von der Natur, erstellt er sich seinen Zeitplan selbst bzw. lässt sich einen Zeitzwang von Systemen auferlegen, die er geschaffen hat und stellt sich damit oft unter Zeitdruck. Diese Systeme lassen ihm oft wenig Spielraum. Zeitknappheit und Zeitmanagement sind hochaktuelle Schlagworte.
Die Zeit des Menschen in der westlichen Welt ist erheblich vorausgeplant. Streng genommen verfügen wir nicht über unsere eigene Zeit. Der Satz „Nicht wir haben die Minuten, sondern die Minuten uns“ gibt diese Anschauung wieder. Zusätzlich wird sie u.a. durch oft gebrauchte Aussagen bestätigt wie: „Das muss ich zuerst in meinem Terminkalender nachprüfen“, „Ich habe jetzt meinen Terminkalender nicht dabei“, oder noch häufiger „Ich habe keine Zeit“ oder „Zeit ist Geld“. Ein chinesisches Sprichwort sagt dazu: „Eine Unze Gold kann nicht eine Minute Zeit aufwiegen“. Einem weiteren Sprichwort zufolge heißt es: „Als Gott die Welt erschuf, gab er den Afrikanern die Zeit und den Europäern die Uhr.“
Was ist aber die Zeit? Augustinus sagte: „Wenn niemand mich danach fragt, weiß ich es. Wenn ich es einem Fragenden erklären will, weiß ich es nicht.“ Die Zeit vergeht wie im Fluge, die Zeit verstreicht, verrinnt, die Zeit rennt, scheint still zustehen. Es wird Zeit. Die Zeit kommt. Etwas braucht Zeit, dauert Zeit. Der Mensch will die Zeit anhalten oder zurückdrehen. Er geht mit der Zeit. Die Zeit arbeitet für ihn. Er hat Zeit oder hat keine. Er nimmt und lässt sich Zeit oder gönnt sich kaum Zeit, findet nicht die Zeit oder es ist ihm seiner Zeit zu schade, zu kostbar. Er fragt nach der Zeit. Er steht unter Zeitdruck. Die Zeit drängt, sie fehlt. Er teilt die Zeit ein, nutzt die Zeit, spart sie, vergeudet und verliert sie. Er gewinnt Zeit, vergisst Zeit, spielt auf Zeit, vertreibt sie und schlägt sie tot. Kurz zusammengefasst: Im Alltag wie auch in allen anderen Tätigkeiten, die sich nicht ausdrücklich mit der Zeit thematisch beschäftigen, ist uns die Zeit selbstverständlich und vertraut.
Kompliziert wird es, wenn wir anfangen über Zeit nachzudenken. Kant spricht davon, dass die Zeit primär nicht eine objektive Eigenschaft der Dinge ist, sondern eine „Form“, wie wir die Dinge selbst und objektiv wahrnehmen, anschauen und erfahren. Götze fügt hinzu: „Der Begriff Zeit ist immer Interpretation und damit kulturspezifisch, also von Kulturen oder individuellen Erfahrungen und Annahmen abhängig.“
Mit dem eben Gesagten geht eine wachsende Überzeugung in den Naturwissenschaften einher, dass eine vom Menschen unabhängige und objektive Zeit lediglich Fiktion ist. Zeitverständnis und Zeitbewusstsein hingegen sind Produkte menschlichen Geistes, gepaart mit Erfahrungen. Zeit sei also im Regelfall immer subjektive Zeit, allenfalls – weil in der Gemeinschaft erfahren und gemeinsam interpretiert – soziale Zeit. Zeit ist aber auch kulturelle Zeit, also kulturbedingt und von Kulturen abhängig.
Was ist Kultur? Als ich 2008 meine Diplomarbeit schrieb, gab es 346 Definitionen zu dem Begriff „Kultur“. Ich sage Dir ein paar, die ich am schönsten finde: Ein Fisch entdeckt das Bedürfnis nach Wasser nur dann, wenn dieser nicht mehr im Wasser drinnen ist. Unsere Kultur ist wie Wasser für den Fisch. Es umgibt uns, ist unsichtbar, wir leben darin, wir atmen dadurch und merken dann, wie wichtig es für uns ist, wenn wir uns mit anderen Kulturen beschäftigen.
Hofstede, der Vater der interkulturellen Kommunikation, sagte: „Kultur ist die kollektive Programmierung des Geistes“. Er spricht ebenfalls von der Kultur als „software of the mind“. Hall geht sogar noch ein Stückchen weiter und sagt: „Kultur ist Kommunikation“. Er erklärt zudem, dass Kultur nicht angeboren, sondern erlernbar ist und auf Erfahrungen basiert. Außerdem sind verschiedene Kulturelemente miteinander verbunden und alles, was ein Mensch macht, erschafft und besitzt, wirkt sich auf seine Mitmenschen aus. Kultur ist somit das wichtigste Bindeglied zwischen den Menschen und die Grundlage für jeden zwischenmenschlichen Kontakt.
Meine Lieblingsdefinition von Kultur ist folgende: „Kultur ist das, was Dich zum Fremden macht, wenn Du von daheim fort bist.“ Es gibt auch noch ein wunderschönes Zitat, an das ich mich sehr gerne erinnere und welches die kulturellen Unterschiede und das Thema Zeit sehr gut verbindet: „Yesterday is history, tomorrow is a mystery and today is a gift. That’s why they call it present“.
Viele andere Kulturen leben mehr in der Gegenwart, im hier und jetzt, als wir es in Deutschland tun. Unter anderem liegt das daran, dass wir hier in Deutschland eine Zeitachse benutzen, um Zeit zu symbolisierten. Manchmal ist die Zeitachse wie ein Pfeil nach oben gerichtet, um den Fortschrittsgedanken zu symbolisieren. Hier heißt es: Immer schneller, immer weiter und immer mehr. Andere Kulturen hingegen begreifen Zeit als Kreis oder als eine Spirale, um diesen Fortschrittsgedanken zu symbolisieren nach dem Motto: „Ach, wenn wir etwas heute nicht erledigen, dann morgen. Wenn nicht diese Woche, dann nächste, wenn nicht dieses Jahr, dann nächsten Sommer und wenn nicht in diesem Leben, dann im nächsten.“ Gerade die Kulturen, die Zeit als Spirale oder Kreis betrachten, glauben oft an die Wiedergeburt.
Wie sich die unterschiedlichen Zeitauffassungen auf unseren Alltag und den Umgang mit der Zeit auswirken, erfährst Du in der morgigen Folge.
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