Wie unterschiedlich gehen Deutsche und Polen mit Zeit und Risiko um?
Heute verrate ich Dir, wie das Thema Zeit unterschiedlich von Menschen in Deutschland und Polen gehandhabt wird und wie das Reaktionen auf unerwartete Situationen und Risikobereitschaft beeinflusst. Diese Unterschiede beim Zeit- und Projektmanagement und der Einstelllung zu unvorhersehbaren Ereignissen münden jedoch nicht zwangsläufig in einen Konflikt, sondern können auch zu einer effizienteren und produktiveren Zusammenarbeit zwischen Deutschen und Polen führen. Warum und wie es möglich ist, erfährst Du in dieser Folge.
Viel Spaß und wertvolle Erkenntnisse beim Anhören
Den interkulturellen Podcast „Deutschland und andere Länder“ gibt es auch unter:
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Zusätzlich gibt es hier die Folge zum Nachlesen:
Deutschland und andere Länder mit Anna Lassonczyk“ – Der erste und einzige Podcast in Deutschland, Österreich und der Schweiz, der sich mit interkultureller Kommunikation beschäftigt, spannende Impulse über fremde Länder liefert, entfernte Kulturen näher bringt und erfolgreiche Menschen mit internationaler Erfahrung interviewt.
Herzlich Willkommen! In der heutigen Folge erfährst Du, wie Polen mit Zeit und Risiko umgeht.
In Deutschland sind wir dazu erzogen worden, eine Sache zu Ende zu bringen, bevor wir mit etwas anderem anfangen. Es liegt eine „Abhak-Kultur“ vor, weshalb wir To-do-Listen auch so sehr lieben. Um effizient zu sein, sollen wir uns nicht mit vielen Dingen gleichzeitig beschäftigen, sondern uns auf eine Sache fokussieren. Wenn viel rundherum passiert und und wir ständig unterbrochen oder angerufen werden, haben wir das Gefühl, dass wir nur schleppend voran kommen. Solche Impulse von außen werden als Störfaktoren empfunden.
Im Gegensatz zu Deutschland handelt es sich bei Polen um ein “Multitasking-Land”. Die Polen lieben es, viele Sachen gleichzeitig in Angriff zu nehmen. Das kann teilweise sehr irritierend für die Deutschen sein. Wenn mich beispielsweise ein Geschäftsführer eines großen Unternehmens zu einem Treffen in Polen einlädt, bei dem im Voraus das Datum, die Uhrzeit und der Ort vereinbart worden sind, würde ich erwarten, dass wir an diesem festgelegten Termin zu zweit sprechen können und er sich ausreichend Zeit für mich nimmt. Die Realität sieht allerdings anders aus. Während unseres Treffens nimmt er Telefonate an, die Sekretärin kommt zwischendurch herein und eine weitere Person, die spontan vorbei gekommen ist, wird ebenfalls ins Zimmer gebeten. Der Small-Talk dauert dadurch viel länger als es in Deutschland üblich ist. Außerdem kann ich alles mithören, was der Geschäftsführer mit einer anderen Person bespricht. So eine Situation ist in Polen ganz normal.
Stellen wir uns noch eine andere Situation vor. Ein deutscher Chef sitzt in einem Ledersessel hinter einem großen Schreibtisch. Dieser hat einen Termin für den Besuch eines geschätzten und lang nicht gesehenen polnischen Geschäftspartners vereinbart. Der Pole kommt jedoch früher als besprochen und erscheint ohne jegliche Ankündigung. Er schafft es, sich an der Sekretärin vorbei zu schleichen und steht plötzlich im Büro unseres angesehenen Chefs. Der deutsche Chef telefoniert gerade und entdeckt, dass sein unerwarteter Gast in der Tür steht. Wie verhält sich der Deutsche in einer solchen Situation? Als Zeichen dafür, dass er den Polen sieht, begegnet er ihn mit einem kurzen Nicken und Lächeln. Sein Telefonat aber setzt er fort. Eine solche Reaktion ist in Deutschland üblich. Der Deutsche telefoniert gerade und will das Gespräch zunächst einmal auch zu Ende führen. Weil der Pole außerdem durch die Sekretärin gar nicht angekündigt wurde, ist der Deutsche im ersten Augenblick verwirrt. Erst nachdem das Gespräch beendet ist, verlässt er seinen Sessel und begrüßt seinen polnischen Gast mit einer herzlichen Umarmung. Aber was denkt der Pole in der Zwischenzeit? Er wundert sich, warum ihn der Deutsche zuvor für einige Minuten ignoriert hat und warum er nun so tut, als ob er sich über seine Ankunft freuen würde. Das wiederum ist für den Polen verwirrend. Die Polen sind es nämlich gewöhnt, viele Sachen gleichzeitig zu machen. Eine solche Situation sähe in Polen deshalb ganz anders aus. Die polnische Person, die gerade dabei ist zu telefonieren, würde das Telefonat unterbrechen, den Gast sofort begrüßen und dann wieder zum Hörer zurückgreifen und je nach dem wie wichtig das Gespräch ist entweder weiter telefonieren oder das Telefonat beenden. Im Falle, dass die andere Person in der Leitung auch ein Pole ist, würde sie ein solches Verhalten keineswegs überraschen, da es in Polen als üblich gilt.
Aber wie läuft es ab, bevor es überhaupt zu einem Termin in Polen kommt? Meistens werden mehr Termine gemacht, als man dafür Zeit hat. Es wird davon ausgegangen, dass manche Termine sowieso abgesagt werden und dass etwas bei der anderen Seite dazwischen kommt. Wenn ein Termin festgelegt wird, muss in Klammern immer dazu gedacht werden, dass die Terminabsprache nur dann gültig bleibt, wenn nichts anderes wichtigeres und dringenderes dazwischen kommt. Im Falle, dass jemand einen Termin absagt, freut sich der andere sogar, weil ihm auch etwas dazwischen gekommen ist oder weil sein Terminkalender zu dicht getaktet ist. Die Polen jonglieren also mit Geschäftsterminen, was für die Deutschen verwirrend sein kann.
Des Weiteren stellt sich die Frage, inwieweit im Voraus Termine in Polen vereinbart werden. Es gilt die selbe Regel, die wir auch in Deutschland kennen: Je wichtiger die Person ist, desto länger im Voraus wird der Termin ausgemacht. Anders als die Deutschen, beharrt die polnische Seite jedoch auf das sofortige Festlegen eines Termins. Wenn etwas vorangehen soll und wenn die Polen von etwas überzeugt sind, dann wollen sie es sofort. Außerdem können sie einfach einen anderen Termin absagen und dafür einen diesen einen hereinschieben, falls etwas wichtiges dazwischen kommt. Auch das spiegelt sich in meiner Erfahrung wieder. Wenn ich zum Beispiel meine Trainings in Deutschland verkaufe, fragen die Deutschen meistens nach einer PDF. In Polen hingegen werde ich sofort gefragt, ob ich vorbeikommen kann. Danach werfe ich einen Blick in meinen Terminkalender und sehe, dass ich das nächste mal in zwei Monaten, sagen wir mal am 17. Mai, nach Polen fliege und voraussichtlich um 12 Uhr mit dem Flieger dort landen werde und ich mich deshalb um 14 Uhr mit der jeweiligen Person treffen könnte. Die polnischen Seite fragt mich daraufhin meistens, ob ich einen Tag vor dem Termin noch anrufen könnte. Ich weiß, dass sich an meinen Plänen nichts ändert. Der Flugplan wird auch nicht geändert. Daher weiß ich jetzt schon, um wie viel Uhr ich den Termin wahrnehmen kann. Einen Tag davor weiß ich auch nicht mehr als jetzt. Sollte mein Flugzeug Verspätung haben, würde ich es erst am selben Tag erfahren. Dennoch fragen mich die Polen, ob ich den Termin einen Tag im Voraus bestätigen kann. Das liegt zum einen daran, dass die Absprachen in Polen nicht so fest sind, da wir immer in Klammern hinzudenken, dass der Termin nicht mehr gilt, wenn etwas wichtigeres ansteht. Zum anderen schätzen die Polen Flexibilität viel mehr als die Deutschen und können zu diesem Zeitpunkt noch nicht abschätzen, wie es bei ihnen terminlich in zwei Monaten genau aussehen wird. Terminabsprachen in Deutschland, die teilweise zwei Monate im Voraus stattfinden, sind für mich etwas ganz Normales. Früher konnten wir einfach bei jemanden vorbeikommen, später wurde die andere Person zunächst einmal angerufen, um uns anzukündigen. Inzwischen brauchen wir sogar E-Mails, die dazu dienen, einige Wochen im Voraus einen Telefontermin zu vereinbaren. In Deutschland sind wir es nämlich gewohnt, so langfristig zu planen. Die Polen hingegen leben mehr im Hier und Jetzt und fühlen sich in ihrer Freiheit beraubt, unwohl oder gezwungen zu etwas, was sie nicht wollen wie zum Beispiel so lange im Voraus zu planen.
So wie wir mit der Zeit umgehen, nimmt auch Einfluss darauf, wie wir auf unsichere Situationen und auf Risiko reagieren. In Deutschland haben wir es lieber, wenn wir Sachen im Voraus planen, uns absichern und Sachen vorhersehen. Deshalb boomt die Versicherungsbranche in Deutschland. Im Gegensatz dazu leben die Menschen in Polen mehr in der Gegenwart. Für sie ist die einzige Sache, die sicher ist, dass nichts sicher ist und dass sich Dinge sehr schnell ändern können. Deswegen gehen die Menschen dort auch mit unerwarteten Situationen und mit Risiko sehr spontan um. Sie verfügen über ein inneres Vertrauen, welches ihnen sagt: „Irgendwie wird’s schon wieder“. Mit einem breiten Lächeln leben sie ihr Leben weiter, ohne genau zu wissen, was auf sie zukommt.
Während in Deutschland auf der einen Seite die Planbarkeit, Vorhersehbarkeit und Sicherheit einen hohen Stellenwert besitzt, sind in Polen Werte wie Flexibilität, Freiheit, Improvisation und Kreativität deutlich wichtiger. Diese zwei Seiten ergänzen sich in der internationalen Zusammenarbeit sehr gut. Auf der einen Seite sind die Deutschen die Meister darin, einen Plan zu kreieren und viele Situationen vorherzusehen. Auf der anderen Seiten kommen die Polen ins Spiel, wenn trotzdem etwas dazwischen kommt und etwas unerwartetes passiert. Sie sind gewohnt, jemanden aus dem Notfall heraus zu helfen und auf den letzten Drücker zu handeln.
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